Aufsichtsbeschwerde
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Naturschutz- und Landschaftspflegeverein Wilde Sau e. V. erhebt hiermit Aufsichtsbeschwerde im Zusammenhang mit einem Bauleitplanverfahren der Stadt Wilsdruff.
Aktuell ist die Stadt Wilsdruff im Begriff, den Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ aufzustellen. Zur Stadtratssitzung am 16.05.2024 wird der Entwurf zu diesem Bebauungsplan dem Wilsdruffer Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt.
Der Verein ist der Ansicht, dass die Durchführung dieses Bauleitplanverfahrens eklatante Mängel aufweist, die eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde aus den folgenden Gründen dringend notwendig erscheinen lassen:
Die Öffentlichkeit ist auf ihre Beteiligungsrechte nicht ordnungsgemäß hingewiesen worden. Die Art und Weise der Durchführung des Bauleitplanverfahrens war geeignet, die Öffentlichkeit von der Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte im Bauleitplanverfahren abzuhalten. Weiterhin wurde bei der Öffentlichkeit aufgrund der irreführenden Bezeichnung des Entwurfs des Bebauungsplans Nr. 31 als „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ der Eindruck erweckt, dass lediglich die Voraussetzungen für ein Gewerbegebiet, nicht aber ein Industriegebiet geschaffen werden sollen. Zudem widersprachen sich die ausgelegte Planzeichnung und die Zeichenerklärung inhaltlich.
Hierzu im Einzelnen:
I. Fehlende Hinweise in der Bekanntmachung
Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil § 3 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und 3 BauGB nicht beachtet wurde.
Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 bis 4 BauGB gilt Folgendes:
Die Entwürfe der Bauleitpläne sind mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats, mindestens jedoch für die Dauer von 30 Tagen, oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Dauer einer angemessenen längeren Frist im Internet zu veröffentlichen. Zusätzlich zur Veröffentlichung im Internet nach Satz 1 sind eine oder mehrere andere leicht zu erreichende Zugangsmöglichkeiten, etwa durch öffentlich zugängliche Lesegeräte oder durch eine öffentliche Auslegung der in Satz 1 genannten Unterlagen, zur Verfügung zu stellen. Die nach § 4 Absatz 2 Beteiligten sollen von der Veröffentlichung im Internet auf elektronischem Weg benachrichtigt werden. Die Internetseite oder Internetadresse, unter der die in Satz 1 genannten Unterlagen eingesehen werden können, die Dauer der Veröffentlichungsfrist sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, sind vor Beginn der Veröffentlichungsfrist ortsüblich bekannt zu machen; in der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen,
1. dass Stellungnahmen während der Dauer der Veröffentlichungsfrist abgegeben werden können,
2. dass Stellungnahmen elektronisch übermittelt werden sollen, bei Bedarf aber auch auf anderem Weg abgegeben werden können,
3. dass nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen bei der Beschlussfassung über den Bauleitplan unberücksichtigt bleiben können und
4. welche anderen leicht zu erreichenden Zugangsmöglichkeiten nach Satz 2 bestehen.
Durch Amtsblatt der Stadt Wilsdruff vom 14. Dezember 2023, Ausgabe 25/23, (https://www.wilsdruff.de/media/4030) erfolgte auf Seite 5 die öffentliche Bekanntmachung unter der Überschrift Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ öffentliche Auslegung.
In der Bekanntmachung wurde entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht darauf hingewiesen, dass Stellungnahmen während der Dauer der Veröffentlichungsfrist abgegeben werden können.
„Ist in der Bekanntmachung kein Hinweis auf die Möglichkeit enthalten, Stellungnahmen zu erheben, so liegt ein wesentlicher Mangel des Planverfahrens vor, der zur Nichtigkeit des Bauleitplans führt.“ (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Krautzberger/Jaeger, 152. EL Oktober 2023, BauGB § 3 Rn. 47 m.w.N.)
Soweit vereinzelt dennoch Stellungnahmen abgegeben worden sind, ist dies unschädlich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Teile der Öffentlichkeit aufgrund des fehlenden Hinweises keine Stellungnahme abgegeben haben.
(Im Übrigen: Auffällig ist, dass diese fehlenden Hinweise in einer weiteren im selben Amtsblatt auf S. 6 enthaltenen Bekanntmachung unter der Überschrift Ergänzungssatzung „Oberhermsdorf – Hauptstraße“ Aufstellungsbeschluss und Veröffentlichung im Internet gemäß § 3 Abs. 2 BauGBenthalten sind.)
II. Abschreckende Wirkung durch Veröffentlichung personenbezogener Daten
Die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zum im letzten Jahr durchgeführten Bauleitplanverfahren Nr. 33 „Freitaler Straße Kleinopitz“ abgegebenen Stellungnahmen sind einschließlich der personenbezogenen Daten deren Verfasser durch die Stadt Wilsdruff veröffentlicht worden, wie etwa deren Namen und Anschrift. Neben der Stellungnahme einer Person, welche lediglich ihre Initialien bekannt gab, wurde Folgendes in roter Schriftfarbe vermerkt: „bitte prüfen, ob bei SV eine Anschrift bekannt ist“. In der Stadtratssitzung am 25.05.2023 monierten Bürger die Veröffentlichung dieser personenbezogenen Daten – auch weil die hierdurch mögliche Zuordnung der Stellungnahme zu erheblicher Unruhe und Streit in der Dorfgemeinschaft geführt hat. Der Bürgermeister der Stadt Wilsdruff erklärte hierzu, die Vorgehensweise durch den Datenschutzbeauftragten prüfen lassen zu wollen (Beweis: Protokoll zur Stadtratssitzung vom 25.05.2023, S.11 Absatz 2 – Anlage). Die personenbezogenen Daten waren noch bis mindestens zum 03.05.2024 für jedermann online einsehbar. (Beweis kann im Falle des Bestreitens erbracht werden). Mittlerweile scheint der Link nicht mehr aktiv.
Es drängt sich auf, dass die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten dieser Bürger geeignet war, Teile der Öffentlichkeit davon abzuhalten, sich zum zeitlich unmittelbar nachfolgenden Bauleitplanverfahren betreffend Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung einzubringen.
Anzumerken ist zudem, dass es sich bei der Veröffentlichung der personenbezogenen Daten zudem um einen erheblichen Datenschutzverstoß handeln könnte.
Der VGH Mannheim erkennt im Zusammenhang der Veröffentlichung personenbezogener Daten bei der Bauleitplanung: „Die öffentliche Auslegung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB darf nicht so durchgeführt werden, dass Personen in unzulässiger Weise davon abgehalten werden, sich zu der gemeindlichen Planung zu äußern. Dies ist der Fall, wenn es für das Absehen von der Äußerung einen nachvollziehbaren und berechtigten Grund gibt. Ein solcher kann auch darin liegen, dass bei einer möglicherweise erforderlichen erneuten Auslegung (vgl. § 4 a Abs. 3 BauGB) im Rahmen der Auslegung eingegangene Einwendungen von Privatpersonen mit deren Namen, Anschrift und gegebenenfalls Mailadressen veröffentlicht werden, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit besteht.“ (VGH Mannheim NVwZ-RR 2022, 850)
Da sich die Stadt Wilsdruff auch bis zum Beginn der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ zur Problematik der erfolgten Veröffentlichung personenbezogener Daten der Verfasser der Stellungnahmen zum o.g. Bauleitverfahren Nr. 33 nicht erklärte und die Informationen nach wie vor online einsehbar waren, mussten die Bürger davon ausgehen, dass das Verhalten der Stadt Wilsdruff rechtlich nicht zu beanstanden und somit mit einer solchen Veröffentlichung auch im Falle künftiger Stellungnahmen zu rechnen sei.
Insoweit schlug sich die im Zusammenhang mit dem Bauleitplanverfahren zum Bebauungsplan Nr. 33 „Freitaler Straße Kleinopitz“ erfolgte Veröffentlichung auf das zeitlich darauf folgende Bauleitplanverfahren zum Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ durch. Es erscheint somit nicht ausgeschlossen, vielmehr sogar naheliegend, dass Teile der Öffentlichkeit sich davon abgehalten sahen, sich zu der gemeindlichen Planung zu äußern, weil sie die Veröffentlichung ihrer personenbezogenen Daten befürchteten. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist aus diesem Grund nicht ordnungsgemäß erfolgt.
III. Irreführende Bezeichnung des Bebauungsplans
Die Bezeichnung des in der Aufstellung befindlichen Bebauungsplans als Bebauungsplan Nr. 31 „Gewerbegebiet Hühndorfer Straße“ ist irreführend. Aus dieser erschließt zunächst sich für jedermann auf Anhieb, dass ausschließlich ein Baugebiet im Sinne eines Gewerbegebiets geplant ist. Aus der Planzeichnung sowie der Begründung zum Planentwurf, etwa S.10, ergibt sich jedoch, dass auf der Gewerbefläche GFl.1 (GI) mit einer Fläche von 43.177qm ein Industriegebiet entstehen soll. Es handelt sich hierbei im Übrigen um die größte der drei Flächen. Auch bereits mit der auf S. 5 des Amtsblatts Nr. 25 vom 14.12.2023 erfolgten Bekanntmachung fällt der Begriff „Industriegebiet“ mit keinem Wort. Der Verein geht bei lebensnaher Einschätzung davon aus, dass der Entwurf eines Bebauungsplans, der seiner Bezeichnung nach ein Industriegebiet betrifft, auf größeren Widerstand bei den Wilsdruffer Bürgern gestoßen wäre als der Entwurf eines Bebauungsplans, der seiner Bezeichnung nach „lediglich“ ein Gewerbegebiet zum Gegenstand hat. Denn mit einem Industriegebiet gehen bekanntermaßen größere Beeinträchtigungen betreffend Emissionen, Verkehr, Änderung des Landschaftsbildes pp. einher, so dass eine größere Sorge der Wilsdruffer Bürger betreffend der Bauplanungen zu erwarten sein dürfte. Dass von einem Industriegebiet, welches ausschließlich der Unterbringung von in anderen Baugebieten unzulässigen Gewerbebetrieben dient, in der Regel erheblichere Belästigungen in Bezug auf ein Gewerbegebiet ausgehen, erschließt sich unproblematisch aus dem Gesetz (§ 9 BauNVO).
Die Stadt Wilsdruff entgegnete auf diese im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung abgegebenen Stellungnahme des Vereins hin Folgendes: „Bereits in der auf Seite 5 des Amtsblatts Nr. 25 vom 14.12.2023 erfolgten Bekanntmachung ist deutlich erkennbar, dass es sich bei einer der drei Gewerbeflächen um die Festsetzung eines Industriegebietes handelt.“ (https://www.wilsdruff.de/media/4187 Seite 50 der PDF)
Aus S. 5 des Amtsblatts (https://www.wilsdruff.de/media/4030) ergibt sich, dass in der in der Bekanntmachung enthaltenen Zeichnung ein „Industriegebiet“ nicht erkennbar ist. Zudem ist bei lebensnaher Einschätzung davon auszugehen, dass Bürger davon abgesehen haben, sich mit den ausgelegten Planungsunterlagen zu befassen, da sie aufgrund der Bezeichnung in der Bekanntmachung davon ausgehen mussten, dass sich der Bebauungsplan „lediglich“ auf ein Gewerbegebiet beschränkt und nicht auch ein Industriegebiet größeren Ausmaßes Gegenstand der Planung ist.
IV. Widersprüchliche Angaben zur Art der baulichen Nutzung
Gemäß ausgelegter Planzeichnung wird die Gewerbefläche 2 (GFl. 2) als eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe) eingeordnet, folgt man der „Zeichenerklärung-Festsetzungen des Bebauungsplanes“ zur Planzeichnung jedoch, dann lediglich als Gewerbegebiet (GE).
Auch die Gewerbefläche (GFl. 3) wird in der Planzeichnung zum Entwurf als Gewerbegebiet (GE) eingeordnet, folgt man der „Zeichenerklärung-Festsetzungen des Bebauungsplanes“ zur Planzeichnung jedoch, dann als eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe).
Das konkrete Planungsziel der Stadt Wilsdruff war für die Öffentlichkeit im Rahmen des Beteiligungsverfahrens aufgrund der widersprüchlichen Angaben somit nicht hinreichend erkennbar, was eine Abgabe konkret planungsbezogener Stellungnahmen behinderte.
V. Schlussbemerkung
Menschen, die sich im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung kritisch zu größeren Bauleitplanverfahren einbringen, tun dies unserer Erfahrung nach überwiegend mit dem Ziel, die sie umgebende Natur und Landschaft zu bewahren, weshalb eine ordnungsgemäße Öffentlichkeitsbeteiligung im ganz besonderen Interesse des Naturschutzes und somit des Wilde Sau e.V. steht.
Bauleitplanverfahren müssen mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt werden, insbesondere muss eine Öffentlichkeitsbeteiligung ordnungsgemäß ermöglicht werden.
Die Öffentlichkeitsbeteiligung verwirklicht das Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG) und stellt zudem eine Ausprägung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG ), eines wesentlichen Staatsstrukturprinzips dar. (Vgl. https://www.bonner-rechtsjournal.de/fileadmin/pdf/Artikel/2012_01/BRJ_045_2012_Klein.pdf m.w.N.)
Ich bitte Sie, mir den Eingang dieser Beschwerde zu bestätigen, mich über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten und mir mitzuteilen, welche Maßnahmen die Aufsichtsbehörde ergreift, sollte ein Rechtsverstoß erkannt werden.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Im Hinblick auf die heutige Beschlussfassung wird die Aufsichtsbeschwerde gleichzeitig den Mitgliedern des Wilsdruffer Stadtrats übermittelt, ebenso der Presse.
Mit freundlichen Grüßen